Mittwoch, 10. Juni 2009

Wissenswertes /Kleider machen Beute

Kommerzielle und gemeinnützige Organisationen machen aus Wohlstandsmüll ein Milliarden-Geschäft

Ob auf Werbeplakaten, in Fernsehspots oder in Postwurfsendungen: Appelle Gutes zu tun, erreichen nahezu jeden Haushalt. Zu den bevorzugten Hilfeaufrufen gehört die Bitte um Kleiderspenden. Jährlich wechseln allein durch die im öffentlichen Raum platzierten Spenden-Container rund 750.000 Tonnen Textilien ihren Besitzer. Hinzu kommen unzählige Direkt-Spenden an kirchliche und soziale Einrichtungen. Insgesamt, so Schätzungen, werden allein in Deutschland jedes Jahr mindestens 300 Millionen Modeartikel gespendet. Jährliches Umsatzvolumen: rund 500 Millionen Euro. Doch was mit den ausrangierten Altkleidern tatsächlich passiert, bleibt den hilfsbereiten Gebern in der Regel verborgen.

"Von der Illusion, dass es hier um den guten Zweck geht, müssen sich die Spender verabschieden", sagt Friedel Hütz-Adams vom alternativen Wirtschaftsinstitut Südwind [1]. Vielmehr stellt die abgelegte Garderobe auf dem weltweiten Markt für gebrauchte Kleider einen unschätzbaren Wert dar. Wo die Spenden landen, wird deshalb weitgehend verschwiegen. Zur mangelnden Transparenz tragen kommerzielle Subunternehmen bei: "Für Verbraucher ist es leider nicht immer leicht zu erkennen, wer für eine Kleidersammlung verantwortlich ist. Häufig gehen gemeinnützige Organisationen und gewerbliche Verwerter schwer durchschaubare Kooperationen ein", beklagt der Bundesverband Verbraucher Initiative e.V. So ist es zum Beispiel bei Containersammlungen durchaus üblich, dass zwar Name und Logo einer bekannten gemeinnützigen Organisation auf dem Sammelbehälter prangen, tatsächlich jedoch die Sammlung von einem gewerblichen Verwerter durchgeführt wird, der lediglich den Namen der Organisation gegen eine Gebühr "gepachtet" hat. Allein für die Verwendung ihrer Namenszüge werden bereits jährlich dreistellige Millionenbeträge von den Sozialverbänden kassiert.

Lange Geschichte des Handels

Der Verwertungskreislauf von Alttextilien hat in Deutschland eine lange Tradition und erlangte während des Zweiten Weltkriegs ihren Höhepunkt. Nachdem sich der Mangel an Primär-Rohstoffen nach 1945 zuspitzte, organisierten die Westmächte die Einfuhr von gebrauchten Textilien. Anfang der 50er Jahre befanden sich die Preise für textile Sekundärrohstoffe noch auf Hochpreisniveau. Ab Mitte der 60er Jahre sorgten steigende Arbeitslöhne bei gleichzeitig sinkenden Preisen für Primärrohstoffe zur Schließung vieler Reißereien und Tuchfabriken. Aufwind bekam die Branche wieder durch den steigenden Wohlstand, da Menge und Qualität der noch verwendbaren Kleidung in den Alkleidersammlungen stiegen. Die Sortierbetriebe orientierten sich neu und begannen die Vermarktung der Second-Hand-Ware zum ertragreichen Kerngeschäft auszudehnen.
Von der Spende zur Ware

Für die Erfassung von Alttextilien sind drei Sammelsysteme von Bedeutung: Straßensammlungen, Abgabe in Kleiderkammern und Sammelcontainer. Auf über 50.000 schätzen Experten die Zahl der bundesweit aufgestellten Container. Überwiegend gehören diese kommerziellen Unternehmen, die sie unter dem Namen karitativer Einrichtungen betreiben. Denn auch bei den Wohlfahrtsverbänden stehen in erster Linie Gewinnerzielungsabsichten im Mittelpunkt. Was bei den eigenen Sammlungen zusammenkommt, wird von zahlreichen sozialen Einrichtungen komplett an gewerbliche Abnehmer verkauft. Die Altkleider, die ursprünglich für einen wohltätigen Zweck gespendet wurden, werden somit zu einer Handelsware beliebiger Art - insbesondere für den Export.
Altkleider auf Abwegen

Vier Qualitäten filtern die kommerziellen Sortierer aus dem Spendenaufkommen heraus. Die als "Creme-Ware" bezeichneten besten Stücke werden an inländische bzw. westeuropäische Second-Hand-Läden verkauft. Der Anteil beträgt rund 5% am gesamten Spendenaufkommen. Der Löwenanteil ist für den osteuropäischen, südamerikanischen und insbesondere afrikanischen "Markt" bestimmt. Dort findet die aussortierte Ware einen reißenden Absatz. Der Umfang der sich in einem tragbaren Zustand befindet, also direkt dorthin vermarktbar ist, wird mit 50% der Gesamtmenge beziffert. Der größte karitative Sammler, der den Inhalt seiner Sammelcontainer meistbietend an kommerzielle Händler veräußert, ist das Deutsche Rote Kreuz. In gleicher Weise verfahren die Regionalverbände der Johanniter und des Malteser-Hilfsdienstes. Was mit den Spenden tatsächlich passiert, darüber werden die Spender nicht aufgeklärt. In Veröffentlichungen findet sich lediglich der allgemeine Hinweis auf eine gemeinnützige Verwendung der Erlöse. Angaben über Gewinne existieren nicht.

Den bekanntesten Fall von Verquickung finanzieller Interessen mit einem Hilfsanspruch stellt das hinter der weltweit agierenden dänischen Tvind-Gruppe stehende Unternehmen HUMANA dar. Nach eigenen Angaben arbeitet die HUMANA Kleidersammlung GmbH mit regionalen Schwerpunkten in Berlin, Stuttgart und Köln. Hauptkunde ist die Tochtergesellschaft HUMANA Second-Hand-Kleidung GmbH, die mit ihren rund 25 Kaufhäusern gleichzeitig die größte Second-Hand-Modekette in Deutschland betreibt. Das Exportgeschäft erstreckt sich von Holland, Österreich und Osteuropa bis in afrikanische Staaten. Im Zuge von Ermittlungen der Kopenhagener Staatsanwaltschaft im Jahr 2001 warfen die Behörden dem Konzern vor, dass HUMANA zwar Vorzeigeprojekte in Entwicklungsländern unterhalte, jedoch zugleich Gewinne auf eigene Konten umlenke. In Berlin dulden die Verwaltungen Kleidersammel-Container des Multis inzwischen nur noch in unmittelbarer Nähe der HUMANA-Second-Hand-Läden.

Kleiderimporte zerstören Textilindustrie in Afrika
Ist die Ware in den Bestimmungsländen angekommen, erfolgt der nächste Schritt kommerzieller Verwertung. Nicht die tatsächlich Bedürftigen, sondern die Meistbietenden erhalten den Zuschlag. Die Folgen für die jeweilige Textilindustrie sind verheerend. Studien belegen, dass die Vermarktung die lokale Textil- und Bekleidungsproduktion in zahlreichen afrikanischen Ländern geschädigt hat. Viele Textil- und Bekleidungsfabriken müssen ebenso schließen wie die Stände der Schneiderinnen auf den Märkten. Immerhin landen ein Drittel der in Deutschland gesammelten Altkleider auf dem afrikanischen Markt. In Tansania haben seit Anfang der 90er Jahre "Importe etwa 90% des Markts erobert", informiert die Deutsche
Bundesstelle für Außenhandelsinformationen. Auch in Simbabwe gingen durch die Einfuhr von Alttextilien Tausende von Arbeitsplätzen in der Textilindustrie verloren. Und die Altkleider-Industrie ist weiter in Bewegung: Entwicklungen bei der Qualität der Ware, der Preisbildung und dem Vertrieb zeichneten sich in den zurückliegenden Jahren ab. Vor allem die Billigimporte aus China haben das Konsumverhalten in den westlichen Metropolen nachhaltig verändert. Der Rückgang der First-Class-Ware in den Sammelcontainern ist die unmittelbare Folge. Folgewirkung ist ein massiver Einbruch des Marktwerts für unsortierte Altkleider. Gleichzeitig boomt der Internet-Handel privater Haushalte in den Industrieländern.

Markt im Umbruch
Der "Markt" hat inzwischen reagiert. Um Kosten zu senken sind einerseits Sortierstandorte in Billiglohnländer nach Osteuropa verlagert worden. Andererseits werden Bestimmungen des Abfallrechts in Europa und gesetzliche Bestimmungen der Empfängerstaaten (Importbeschränkungen, Steuerabgaben und Zölle) umgangen. Obwohl Länder wie Südafrika und Nigeria nur eine begrenzte Einfuhr erlauben, gelangen weiterhin jährlich Zehntausende Tonnen Altkleider in diese Länder. "Würden im gesamten Handel alle fälligen Abgaben in Form von Steuern und Zöllen ordnungsgemäß
bezahlt, so würde der Preisvorteil der Altkleider schrumpfen und die einheimischen Produkte hätten auf den Märkten eine größere Chance. Zudem könnten die Staaten diese Einnahmen zur Armutsbekämpfung einsetzen", kritisierten die Experten vom Wirtschaftsinstitut Südwind. Verbraucherzentralen fordern deshalb seit Langem sogar ein grundsätzliches Exportverbot für Altkleider aus Europa und den USA.

"Nicht auf dubiose Sammelaufrufe hereinfallen"
Der Dachverband FairWertung [2], ein Zusammenschluss alternativer gemeinnütziger Organisationen, die selbst Kleidersammlungen anbieten, hat für die Vermarktung von Gebrauchskleidung verbindliche Standards definiert, die für ihre Vertragsfirmen gelten. Denn Altkleidersammlungen seien prinzipiell zu begrüßen. "Wichtig ist es, vor allem nicht auf dubiose Sammelaufrufe hereinzufallen, die durch die Verwendung von bestimmten Symbolen wie Kirchen, Erdkugeln oder Ähnliches und durch Verwendung von Begriffen wie Not, Opfer, Hilfe sehr bewusst auf die Tränendrüse drücken und den Anschein erwecken, dass die von ihnen gesammelte Kleidung für mildtätige Zwecke verwendet wird", appelliert FairWertung. In Potsdam kommt möglicherweise Bewegung in den Umgang mit der Spendensammler-Industrie. Die dortige SPD will, dass die Standorte für die Altkleidersammlung neu ausgeschrieben werden. Dabei sollen die Aufsteller nachweisen, dass sie die Bekleidung später kostenfrei abgeben und hygienische Standards einhalten.

Unbedenklich, so Verbraucherschützer, sei die Weitergabe von Altkleiderspenden am jeweiligen Wohnort selbst. Initiativen und gemeinnützige Vereine jenseits der konzernartigen Trägerstruktur der Sozialverbände geben Kleidung unmittelbar an Bedürftige weiter. Die erzielten Einnahmen fließen ausschließlich in die Refinanzierung der eigenen Infrastruktur. Informieren kann man sich darüber am besten vor Ort.

http://www.suedwind-institut.de/

http://www.fairwertung.de/


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